Die Geschichten aus der Gastwelt

Christian Mittermeier
und sein „Alter Ego“:

Der Sternekoch & Hotelier,
der über den Tellerrand blickt

22. Oktober 2024

Andere Kinder in seiner Schulklasse wollten damals Astronaut werden. Und Polizist. Oder Fußballprofi. Christian Mittermeier indes schwärmte für den Meeresbiologen Jacques Cousteau. Doch wie der berühmte Franzose mit einem Forschungsschiff in See stechen und die Tiefen des Meeres erforschen sollte er dann doch nie. Denn mit 16 Jahren hatte er genug davon, noch länger die Schulbank zu drücken. Er wollte endlich „raus aus der Provinz, hinein in die Welt“. Und muss heute grinsen: „In dem Alter hat man eben Hummeln im Hintern.“

Der Weg schien vorgezeichnet für den Jungen aus einer Hoteliersfamilie. Für eine Ausbildung im Hotel war er damals allerdings noch zu jung. Also machte er zunächst eine Ausbildung zum Metzger. Das lag ihm wesentlich besser als der Wehrdienst, den er im Anschluss an die nachfolgende Kochlehre im Offizierscasino leisten musste. Denn das mit dem Gehorsam, gibt Christian Mittermeier augenzwinkernd zu, das ist so gar nicht seine Sache. Der 59-Jährige ist ein lässiger Typ, locker, mit einem breiten, freundlichen Lachen im Gesicht. Wo er Traditionen zu schätzen weiß, hält er von Konventionen wenig. Die Dinge müssen vorwärtsgehen: „Entwicklung ist für mich ein ganz zentrales Thema im Leben wie auch im Beruf“, sagt er.

Aufstieg zum Meisterkoch und Rückkehr in die Heimat

Das ist auch der Grund, warum er als junger, erfolgreicher Restaurantbetreiber später eine wahre „Goldgrube“ abgeben sollte. Nach der Ausbildung im Schwarzwälder Luxushotel „Bareiss“, wo er nicht nur seine Frau Ulli, sondern auch die Bedeutung von Exzellenz in der Gastwelt kennen gelernt hatte, übernahm er nach einer Zwischenstation in Basel in Lörrach die „Burgschenke“. Das Ausflugslokal auf einer denkmalgeschützten Burg machte er innerhalb kurzer Zeit zu einer angesagten Gourmetadresse. Der Laden brummte, doch die Mittermeiers begannen sich dennoch zu fragen, ob sie tatsächlich über Jahrzehnte so weitermachen wollten – ihnen fehlten die Perspektiven, um sich selbst und auch den Betrieb weiterzuentwickeln. Eigentlich wollte Christian Mittermeier nie in die Heimat zurück, doch als sich an diesem Punkt seine Eltern aus ihrer „Villa Mittermeier“, einem traditionellen Hotelrestaurant, zurückziehen wollten, buchte das junge Paar eben doch eine Fahrkarte ohne Rückschein nach Rothenburg ob der Tauber.

Liebe und Beruf unter einem guten Stern

Christian und Ulli Mittermeier sind längst ein eingespieltes Team; nicht nur im Beruf, sondern auch im Privatleben. Er stand im „Bareiss“ in der Küche, sie lernte im Service. „Der Klassiker in der Branche, ja sogar ein Klischee“, lacht Christian Mittermeier. „In solchen Hotels entstehen sehr viele Beziehungen.“ Aufgewachsen zwischen Fritteuse und Getränkebar empfand er den Hotelbetrieb ganz selbstverständlich als sein Metier, kochen können hat er schon als kleiner Steppke.

Unter diesen Voraussetzungen und fest entschlossen, sich von der Masse abzuheben, erkochte sich Mittermeier in der Heimat alsbald einen Michelin-Stern. Danach gefragt, was ihm das bedeutet hat, stapelt er tief wie ein Torjäger, der soeben heldenhaft das Spiel gedreht hat: Das sei doch keine Auszeichnung für eine Person, sondern für das gesamte Restaurant – dahinter stehe immer eine Teamleistung. Auch in der „Villa Mittermeier“ sei das nicht anders. Natürlich bringe ein Stern einem Koch auch Lorbeeren ein, zumal er die einzige relevante Auszeichnung von internationalem Rang sei. Und das ist natürlich vorteilhaft in einem Touristen-Hotspot wie Rothenburg, dem malerischen Mittelalter-Städtchen in Mittelfranken.

Wer wie er zur Sterne-Elite zählen darf, der macht keine halben Sachen. Die Hingabe, mit der der Vater zweier Teenager am Herd ans Werk geht, lässt sich erahnen, wenn man die Website der „Jeunes Restaurateurs“ studiert, einer Vereinigung junger Spitzenköche. Hier kann man nachlesen, wie Christan Mittermeier tickt: Kochen sei „viel mehr, als einfach nur Speisen vorzubereiten“. Es sei ein „Akt der Fürsorge und Aufmerksamkeit“. Ein Akt, der in einer geradezu „intimen“ Handlung mündet, nämlich dem Verzehr des Essens, wie er erklärt. Aber: Ist das nicht ein bisschen übertrieben? „Warum?“, will Mittermeier wissen. „Zeugt es nicht von höchstem Vertrauen, wenn sich jemand etwas in den Mund steckt, was ein anderer gekocht hat?“

Kochen ist „viel mehr, als einfach nur Speisen vorzubereiten“. Es ist ein „Akt der Fürsorge und Aufmerksamkeit“. Ein Akt, der in einer geradezu „intimen“ Handlung mündet, nämlich dem Verzehr des Essens.

Christian Mittermeier

Regionalität reloaded: Kochen, Weinbau und der Blick fürs Ganze

Die Dinge etwas anders zu betrachten als andere liegt in seiner DNA. Lebensmittel will er ganzheitlich betrachten, auch weil Mittermeier einer ist, der sämtliche Handgriffe beherrscht, die notwendig sind, um ein Schlachtschwein so auf den Teller zu bringen, dass einem das Wasser im Munde zusammenläuft. Das findet er wichtig und möchte verzweifeln, wenn Lieferketten den Bezug zum Produkt kosten. Deshalb sucht er auch beim Trinken „den Bezug zur Scholle“, wie er sagt. Denn zu feinen Speisen tischt man in der „Villa Mittermeier“ gerne Weine oder Secco aus eigener Produktion auf. Das gehört zur Philosophie. Mit seinen Freunden Jürgen Koch und Lars Zwick, ebenfalls leidenschaftlichen Köchen, baut Mittermeier in einem Gebiet, das man als „Tauberzeller Hasennestle“ kennt, Weintrauben an, die unter dem Label „Tauberhase“ ihren Weg in die Flasche finden. Den drei Küchenkünstlern, die sich freilich ganz unprätentiös als „Handwerker“ präsentieren, geht es bei der Erzeugung weniger um den Profit als vielmehr um die Faszination am Ursprung von Lebensmitteln.

Beratung als Nebenjob:
Ein Blick über den Tellerrand

Das passt ganz und gar in Mittermeiers Weltbild. Denn heute hinterfragt er Dinge, deren Existenz er als junger Mann noch nicht einmal geahnt hat. Er blickt im wahrsten Wortsinne gerne „über den Tellerrand“ hinaus. Ein Umstand, der ihm einen ungewöhnlichen Nebenjob eingebracht hat. Der Mann aus Franken berät als erfahrener Anwender Küchenhersteller. „Ingenieure sind mit den Anforderungen eines Kochs bei der Arbeit nicht so vertraut“, sagt er. Deshalb unterstützt Mittermeier die Technikexperten darin, die Ausstattung optimal anzuordnen. Dass große Konzerne seinen Sachverstand schätzen, freut ihn, der gerade einmal 50 Leute beschäftigt. Die Beratungsjobs versteht er für sich als „Wechsel zwischen den Welten“; das ist etwas Besonderes, und darin liegt für ihn eben der Reiz.

Das Konzepthotel „Alter Ego“ – authentisch unkonventionell wie seine Macher

Das gilt auch für „Alter Ego“ der Mittermeiers, ein ultramodernes Konzepthotel, das das Ehepaar vor sechs Jahren unweit des Stammhauses, der „Villa“, eröffnet hat. Ins Deutsche übersetzt bedeutet der Name „Das andere Ich“ und ist Programm. Denn das Haus fällt aus dem Rahmen. Der Check-in funktioniert digital, die Eingangstüre wird smart gesteuert. Eine Rezeption gibt es nicht, dafür aber eine „Trust-Bar“ – die Gastgeber vertrauen einfach drauf, dass die Gäste auch bezahlen, was sie daraus trinken. „Vertrauen ist das Thema dieses Hotels“, sagt Christian Mittermeier. „Meine Frau und ich haben es so konzipiert, wie wir selbst es im Urlaub gerne hätten. Wir wollten ein Konzept umsetzen, das auch noch in zehn oder 20 Jahren zeitgemäß ist.“

„Ich will nicht anders sein, um anders zu sein“, stellt der Mann klar, der „Gastgeber“ als schönsten Beruf überhaupt bezeichnet. „Mir geht es beim Anderssein um Selbstverwirklichung.“ Das spiegelt sich in der Wahl des Hotelnamens wider. Einen guten zu finden ist nicht einfach, und das Übliche wie „Goldener Schwan“ oder „Zum Hirschen“ kam ohnehin nicht in Frage. Also bedienten sich die Mittermeiers der Nomenklatur französischer Weine. Ein Weingut aus dem Bordeaux hat seinen Zweitwein „Alter Ego“ genannt – das passte auch für ihr „Zweithotel“, fanden die Rothenburger. „Das andere Ich“ hat so viel Bedeutung auf unterschiedlichen Ebenen, dass es einfach naheliegend war, es im Kontext mit dem Bestand ‚Villa‘ zu verwenden. „Denn jeder darf in diesen Namen reininterpretieren, was er möchte.“ Deshalb hat er ihn auch gleich schützen lassen. Es gefällt Christian Mittermeier, wenn die Leute zu rätseln beginnen, was es mit der Namensanleihe aus dem Lateinischen auf sich hat.

Den Leuten glückliche Gastmomente zu schenken, sie aber auch zum Nachdenken zu bringen, sei sein Ziel, meint der Spitzenkoch und Hotelier. Er weiß, dass das immer wieder funktioniert, und das verschafft ihm eine tiefe innere Zufriedenheit. „Innerhalb meines Tanzkreises habe ich sicherlich Einfluss auf andere Menschen“, meint er. Deshalb ist es ihm heute wichtiger denn je, Werte zu leben und vorzuleben: zum Wohl der Gäste wie auch der Mitarbeiter. So sind unter anderem Integration und Inklusion für den Mann, der alles gerne ein wenig anders macht als die meisten, keine leeren Worte.

Bildquelle: Christian Mittermeier

Villa Mittermeier
www.villamittermeier.de
vm@mittermeierhospitality.com

© DZG

Das könnte Sie auch interessieren

Gastweltmacher

3 Fragen an...

Pressemitteilungen

Lebendige Gastwelt belebt Standortattraktivität

Deutschland verliert als Wirtschaftsstandort immer mehr an Attraktivität. Im EU-Vergleich landen wir laut KPMG-Studie mal gerade im Mittelfeld. Wir haben es mit einer Kettenreaktion zu tun:

Investoren bemängeln unsere Fachkräfteverfügbarkeit. Fachkräfte wiederum suchen ein ansprechendes Umfeld mit einem lebendigen sozialen Miteinander. Soziales Miteinander geschieht dort, wo Menschen zusammenkommen. Doch Orte dafür werden immer rarer. Was uns zu einem zentralen Faktor bringt, um wettbewerbsfähig zu bleiben: lebendige Innenstädte.

Eine starke Gastwelt – mit Restaurants, Cafés und Freizeiteinrichtungen – trägt erheblich dazu bei, wie lebendig eine Innenstadt wahrgenommen wird. Orte, an denen sich Menschen treffen, verbessern die Atmosphäre, verlängern die Verweildauer von Besuchern und sind oft der Hauptgrund, überhaupt in eine Innenstadt zu fahren.

Studien, wie die von METRO und IFH Köln, bestätigen: Ohne eine starke Gastronomie sind lebendige Innenstädte nicht möglich. Um die Zukunftsfähigkeit von Städten und Regionen zu sichern, müssen Gastronomieunternehmen stärker in die Stadtentwicklung einbezogen werden. Investitionen in die Gastwelt räumen die Kettenreaktion quasi von hinten auf: Lebendige Innenstädte ziehen Fachkräfte an, die Fachkräfteverfügbarkeit überzeugt Investoren, finanzielle Stabilität steigert Deutschlands wirtschaftliche Standortattraktivität nachhaltig.

Make Populismus unpopular again – das schafft die Gastwelt

Durch Deutschland geht ein Riss. Populistische Strömungen spalten unsere Gesellschaft. Sie sagen „Wir gegen die“, wo doch eigentlich ein „Uns“ – ein „gemeinsam“ – stehen sollte. Weltweite Krisen, die Frage, „Wem kann ich noch trauen?“ und der Rückzug in virtuelle Räume verstärken diesen Trend. Millionen von Menschen sind verunsichert, fühlen sich einsam und haben keine echten Gespräche mehr. Das Problem: Wer sich abgehängt und isoliert fühlt, ist anfälliger für die einfachen, spalterischen Lösungen populistischer Bewegungen – das zeigt der „Deutschland-Monitor 2023“.

Was uns fehlt, sind direkte Dialoge, soziales Miteinander, ein vertrautes ‚Wir-Gefühl‘ – und vor allem: die Orte dafür.

Hier spielt die Gastwelt eine entscheidende Rolle: Restaurants, Cafés, Hotels und Freizeiteinrichtungen bieten uns Treffpunkte, an denen wir persönlich zusammenkommen. Durch Investitionen in diese Orte können wir Gespräche fördern und das Gefühl der Gemeinschaft stärken. Damit steigern wir das soziale Wohlbefinden und verringern langfristig die Anfälligkeit für populistische Ideologien und eine gesellschaftliche Polarisierung.

Bye, Einsamkeit - Wie die Gastwelt unsere Demokratie stärken kann

Millionen Menschen in Deutschland fühlen sich einsam. Das geht nicht nur älteren so, sondern auch jüngeren. Ein Blick aufs Einsamkeitsbarometer 2024 zeigt: wir alle sind betroffen. Und: besonders während der Pandemie sind die Zahlen gestiegen. 

Einsamkeit ist kein individuelles Schicksal, sondern ein gesellschaftliches Problem – und zwar eins, das unsere Demokratie in Gefahr bringt. Die erhobenen Daten machen deutlich: Menschen, die sich einsam fühlen, verlieren das Vertrauen in politische Institutionen. Sie beteiligen sich seltener an Wahlen und glauben eher an Verschwörungen. 

Unsere Demokratie gerät ins Schwanken. Doch wir können etwas tun, indem wir stabilen Boden für ihre Grundpfeiler schaffen. Dieser Boden kann unsere Gastwelt sein: Wenn wir es schaffen, Orte der Begegnung, wie sie unsere Gastwelt bietet, zu stärken, bringen wir uns Menschen wieder zusammen. Statt sozialer Isolation würde ein Gefühl gesellschaftlicher Teilhabe entstehen. Wir würden echte Gespräche führen, einander zuhören und uns als Teil einer Gemeinschaft wahrnehmen. Wir wären nicht weiter einsam. Wir wären wieder gemeinsam – für unsere Demokratie.