Die Geschichten aus der Gastwelt

Viel besser, als man glaubt:

Wie Julian Schmitz Bochums Wandel mitgestaltet

09. Oktober 2024

Mit der Hymne auf seine Heimatstadt hat Herbert Grönemeyer Bochum bekannt gemacht: „Du bist einfach zu bescheiden, du Blume im Revier …“. Bei diesen Liedzeilen kann Julian Schmitz voll mitgehen; doch wenn Grönemeyer weitersingt: „… du bist keine Schönheit, vor Arbeit ganz grau“, dann kommt der Chef der Bochum Marketing GmbH unweigerlich aus dem Takt. Stimmt doch gar nicht! Die Stadt von heute ist nicht mehr das Bochum von 1984, als Grönemeyer seinen Erfolgstext geschrieben hat.

Vom Pulsschlag aus Stahl zum blühenden Technologiezentrum: Bochum im Wandel

In den Achtzigern gab es hier viel mehr Schwerindustrie. Damals hatte Bochum tatsächlich noch den „Pulsschlag aus Stahl“, den der Bochum-Barde beschwört. Doch längst, sagt Julian Schmitz, habe sich die Stadt gewandelt. Das alte Image ist so was von überholt, aber eben noch in den Köpfen der Menschen. Das zu ändern ist seit knapp zwei Jahren der Job des 39-Jährigen. Er ist der Marketing-Chef der 370.000-Einwohnerstadt im Ruhrgebiet, wo – frei nach Grönemeyer – die Sonne nicht mehr verstaubt, sondern wo es viel grüner ist, als man glaubt …

Die Stahl-und-Kohle-Ära ist längst zu Ende im Pott; die Zechen sind tot. Bochum hat den Strukturwandel offensiv gemeistert. In Industriebrachen sind Technologiezentren entstanden; der Standort hat sich seitdem dank vieler smarter Startups zu einem Zentrum der IT-Sicherheit und der „E-Health“ entwickelt, womit Brancheninsider den Einsatz digitaler Technologien im Gesundheitswesen meinen.

Netzwerker aus Leidenschaft: Julian Schmitz’ Weg ins Stadtmarketing

Hier lebt es sich gut, auch und gerade für einen, der zuvor schon in Gegenden gearbeitet hat, wo andere Urlaub machen und das Fernsehen eine Heimatserie nach der anderen dreht. Julian Schmitz, geboren im Rheinland, wuchs im bayerischen Voralpenland auf, hat im Schatten des Bergisel in Innsbruck „Tourismus und Freizeitwirtschaft“ studiert und nach einem einjährigen Intermezzo als Controller seinen ersten Gastwelt-Job im Schwarzwald angetreten. Er hatte gemerkt: „Ich will etwas mit Menschen machen, Lebensräume gestalten.“ Also heuerte er, gerade mal 28, als Chef bei der Ferienland Schwarzwald GmbH an, wo er fünf Jahre lang eine Handvoll tourismusorientierter Schwarzwald-Gemeinden vermarktete.

Als das Deutsche Jugendherbergswerk einen neuen Geschäftsführer suchte, wechselte Schmitz nach Detmold. „Die Jugendherbergen sind eine phantastische Marke“, meint er. „Ich hatte dort einen Spitzenjob in der Verbandsarbeit!“ Und ein Büro in Berlin, wo er für die politischen Interessen seines Verbands warb und zahlreiche Kontakte knüpfte. Überhaupt: Genau darin liegt eine seiner Stärken. Er sei ein Netzwerker, sagt Julian Schmitz über sich. Einer, dem es gelinge, Menschen zusammenzubringen. Und sie von seinen Ideen zu überzeugen. Wie kann das gelingen? – Mit einem freundlichen Wesen, Empathie und guten Argumenten.

Schmitz verfügt über diese Qualitäten. Er kann sich in Menschen hineinversetzen und deren jeweilige Interessen nachvollziehen. Und genau das ist die Voraussetzung, um Konsens zu erzielen. Deshalb, glaubt er, habe man sich auch in Bochum für ihn entschieden, als ein neuer Chef für die „BoMa“ gesucht wurde, die Marketinggesellschaft, die sich halb in kommunaler und halb in privater Hand befindet.

„Ich will was mit Menschen machen, Lebensräume gestalten“

Julian Schmitz

Neue Impulse für Bochum: Stadtmarketing zwischen Tradition und Innovation

Hier ist er Chef von 60 Mitarbeitenden, mit denen er, kurz gesagt, „den Lebensraum Bochum“ entwickelt. Ihre Aufgabenfelder sind Tourismusförderung, Stadtmarketing und Veranstaltungsmanagement. In vielerlei Hinsicht hat die sechstgrößte Stadt Nordrhein-Westfalens da weit mehr zu bieten als nur das Deutsche Bergbau-Museum und „Starlight Express“. Im Advent bummeln mehr als eine Million Menschen über den Weihnachtsmarkt, und auch das große Sommerfest und eine Reihe von Open-Air-Konzerten mit namhaften Stars entfalten Magnetwirkung.

Doch weil besser immer geht, soll die „Blume im Revier“ noch schöner blühen. Deshalb betreibt die Bochum Marketing GmbH klassisches Innenstadtmarketing. Sie arbeitet am Aufbau neuer Freizeit-Infrastruktur, bringt mehr Grün ins Zentrum, organisiert Stadtführungen und kreiert Merchandising-Artikel. Die Menschen sollen sich in Bochum noch wohler fühlen, als sie es schon tun. Und sich irgendwann auch von der Vorstellung lösen, dass Stadtzentren so weiterbestehen können, wie sie einmal waren. Denn der stationäre Handel verändert sich stark, weil alle im Internet bestellen. Auch im Ruhrgebiet.

Urbanität trifft Naturnähe: Kultur- und Hochschulstadt mit besonderem Lebensgefühl

Die Medienarbeit für die Stadt, die nicht länger als graue Maus mit Staublunge gelten will, ist mitunter eine Herkulesaufgabe – weil viele Menschen Bochum wohl kennen, aber eben nicht aus eigener Anschauung. Julian Schmitz geht trotzdem gerne ins Büro. Denn in einer Phase des Wandels kann man als Marketing-Stratege viel bewirken. Wenn er das Lebensgefühl vor Ort lobt, macht er das nicht allein aus beruflichen Gründen, sondern weil der Mann hier wirklich angekommen ist.

In einer Stadt, die nie schläft, und die mit einem charmanten Generationen-Mix punkten kann, gibt es sechs Hochschulen mit über 50.000 Studierenden. Zwischen Revierparks und grünen Halden ist in den vergangenen Jahrzehnten die dichteste Hochschullandschaft Deutschlands gewachsen. Das bringt Leben in die City. „Bochum begeistert mich!“, versichert Schmitz. Auch weil es Urbanität und Naturnähe verbindet. Nach der Arbeit setzt sich der Marketing-Experte ins Auto. 20 Minuten später gleitet er auf seinem Standup-Paddleboard über das Wasser eines nahegelegenen Badesees, um danach im „Bermudadreieck“ zu verschwinden – so nennen die Bochumer ihre Kneipenmeile. Manchmal besucht er mit seiner Frau auch das Konzert- oder das Schauspielhaus, wo es Kultur pur gibt.

Fußball, Fiege, Ruhrpott-Charme: Was Julian Schmitz an Bochum besonders begeistert

Mit der Unerschütterlichkeit eines Don Quichote räumt der Marketer deswegen jeden Tag aufs Neue auf mit den alten Kohlenpott-Klischees. Die Bochumer haben das verdient, findet er. Denn sie sind gerade heraus, sie verkörpern einen Menschenschlag, der sagt, was er denkt: Hier bekomme man eine Chance zu überzeugen, während man anderswo erst überzeugen müsse, um eine Chance zu erhalten. Diese Mentalität gefällt Schmitz ebenso wie die Lebensart der Menschen hier.

Gerne trinkt er mit ihnen ein „Fiege“, das Pilsner aus der örtlichen Brauerei. Am liebsten im Ruhrstadion an der Castroper Straße, wo der VfL kickt. „Mein Herzensverein ist eigentlich Bayer Leverkusen“, gibt der Bochumer Marketing-Chef zu. Seine Eltern stammen von dort. Als kleiner Junge hat er mit seinem Vater gejubelt, wenn Ulf Kirsten seine Tore für die Werkself machte. Doch inzwischen ist auch Schmitz Bochum-Fan geworden.

Nicht etwa, weil das so sein muss, wenn man seinen Job macht, oder weil die Truppe von Trainer Peter Zeidler ähnlich stark wäre wie Bayer derzeit. Sondern weil Fußball und der VfL in seiner Wahlheimat einen unglaublichen Stellenwert einnehmen. Die Stadt knistert, wenn das runde Leder rollt. Bochumer Fußball, das sei „Emotion pur“, hat Julian Schmitz erkannt. Obwohl die Blau-Weißen das sind, was man landläufig eine „Fahrstuhlmannschaft“ nennt, identifizieren sich die Einheimischen enorm mit ihrem Club. Das wurde ihm spätestens da klar, als Aufsichtsräte seiner Stadtmarketing-Gesellschaft im blau-weißen Trikot in die Sitzung kamen, weil sie danach noch ins Stadion wollten. „Die Leute hier stehen hundertprozentig hinter ihrem VfL.“

Auf dem grünen Rasen sind die Nachbarn aus Dortmund oder Gelsenkirchen damit ungeliebte Rivalen, im Standort-Marketing allerdings willkommene Partner. Im Regionalverband Ruhr sitzen sie um einen Tisch herum und überlegen, wie sich das Ruhrgebiet in Deutschland als jene vielseitige und bunte Metropole darstellen lässt, die es ja ist. „Mit vereinten Kräften ist das natürlich leichter als alleine“, findet Julian Schmitz. Ob es ihm je gelingen wird, hier eine „Sehnsuchtsmarke“ zu entwickeln, die es im Destination-Marketing mit Gegenden wie dem Schwarzwald aufnehmen kann? Er will zumindest dran arbeiten. Vielleicht sogar bis zur Rente …

Bildquelle: Julian Schmitz

© DZG

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